Zweite politische Bildungsfahrt nach Berlin

Vom 18. bis 22. August 2019 fand unter dem Titel „Demokratie selbst erfahren“ die zweite politische Bildungsfahrt für Geflüchtete nach Berlin statt. Die 39 Teilnehmer*innen, von denen die meisten in Sammelunterkünften in Bonn und der Region leben, kamen aus Afghanistan, Iran, Syrien, Libanon, Jordanien, Nigeria, Guinea, Eritrea und Pakistan.

Nach der Ankunft in Berlin am Sonntagabend wurde das Programm mit einem gemeinsamen Abendessen eröffnet, das der Gruppe die Gelegenheit gab, sich gegenseitig kennenzulernen. Auch der Seminarleiter Volker Niemetz vom Haus der politischen Bildung Berlin, der für das Programm in Berlin verantwortlich war, hieß die Gruppe in Berlin willkommen.

Am folgendenTag begann das Programm mit einer gemeinsamen Besprechung des Tagesablaufs und der weiteren thematischen Gliederung der Fahrt. Am Montag wurde der Fokus auf den Umgang mit der deutschen Geschichte und die Bedeutung von Erinnerungsorten gelegt. Zu Beginn stand eine Führung durch die Dauerausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Das historische Gebäude in der Stauffenbergstraße war am 20. Juli 1944 das Zentrum des Umsturzversuchs gegen das nationalsozialistische Regime und erinnert an Widerstandskämpfer*innen gegen den Nationalsozialismus.

Führung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Nächster Programmpunkt war die Bundeszentrale für politische Bildung. Hier hielt Prof. Dr. Gernot Wolfram, Professor für Kulturmanagement und Cultural Studies und Fachreferent der BpB für den Bereich Mediensoziologie und Integration, eine Einführung über deutsche Geschichte und stellte die Arbeit der Bundeszentrale und deren Medienangebot vor.

Von dort aus führte uns Volker Niemetz zum ehemaligen Berliner Grenzübergang Checkpoint Charlie, der von 1961 bis 1990 den sowjetischen und US-amerikanischen Sektor voneinander trennte.

Am späten Nachmittag fand dann ein Gespräch der Gruppe mit dem Geschäftsführer der Otto Benecke Stiftung e.V., Dr. Lothar Theodor Lemper, statt. Dr. Lemper stellte nicht nur die Arbeit der OBS vor, sondern interessierte sich auch für die Motivation der Teilnehmer*innen, an der Seminarfahrt teilzunehmen und für deren Erwartungen und Wünsche für die Zukunft in Deutschland.

Gespräch mit Dr. Lemper (Otto Benecke Stiftung e.V.)

Am Dienstag standen politische Abläufe in der deutschen Demokratie und die Gewaltenteilung in Vordergrund. Der Tag begann mit einem Besuch im Berliner Abgeordnetenhaus. Nach einer Führung durch das Haus, einer Filmvorführung über die politischen Abläufe im Berliner Landesparlament und der Besichtigung des Plenarsaals, hatten die Teilnehmer*innen die Gelegenheit, ihre Fragen an Abgeordnete zu stellen. An dem Gespräch zu Ehrenamt und Bürgerinitiativen nahmen die Abgeordneten Bettina Domer (SPD), Susanna Kahlefeld (Bündnis 90/Die Grünen), Katina Schubert (Die Linke), Bernd Schlömer (FDP) teil.

Führung im Berliner Abgeordnetenhaus – Plenarsaal

Gespräch mit Berliner Abgeordneten

Gespräch mit Berliner Abgeordneten

Vom Abgeordnetenhaus ging es dann weiter zum Roten Rathaus, dem Sitz des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Hier nahm sich die Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales, Sawsan Chebli, Zeit, den Teilnehmer*innen Fragen zu ihrer Arbeit zu beantworten.

Gespräch mit Staatssekretärin Chebli im Roten Rathaus

Gespräch mit Staatssekretärin Chebli im Roten Rathaus

Gruppenfoto im Roten Rathaus

Da Canan Bayram MdB (Bündnis 90/Die Grünen) einen Gesprächstermin leider kurzfristig absagen musste, wurde die Gedenkstätte Bernauer Straße besichtigt, wo an die deutsche Teilung erinnert wird. Hier befindet sich das letzte Stück der Berliner Mauer, das in seiner Tiefenstaffelung erhalten geblieben ist und einen Eindruck vom Aufbau der Grenzanlagen zum Ende der 1980er Jahre vermittelt.

Nach diesem historischen Exkurs wurde der Bogen am Abend dann wieder zurück zum Thema des Tages gespannt. Bei einem Besuch im Reichstag erfuhren die Teilnehmer*innen viel über die parlamentarischen Abläufe im Bundestag und dessen Aufgaben und Zusammensetzung.

Der letzte Seminartag stand unter dem Motto „Engagement“. In zwei Gruppen wurden die Initiativen BENN – Berlin entwickelt neue Nachbarschaften und Karame e.V. besucht.

Gespräch bei BENN – Berlin Entwickelt Neue Nachbarschaften

Das von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen geförderte Modellprojekt BENN hat zum Ziel, im Umfeld von großen Flüchtlings­unterkünften die Gemeinschaft in den Nachbarschaften stärken und so den Geflüchteten die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erleichtern. Die Bedeutung, die auch der persönliche Kontakt zu Menschen im eigenen Umfeld für eine umfassende Integration zugewanderter Menschen hat, wurde im Gespräch mit den Mitarbeiter*innen von BENN sehr deutlich. Viele Beispiele für Anküpfungspunkte und -möglichkeiten gaben den Teilnehmer*innen Ideen und Inspirationen.

Der gemeinnützige Verein Karame richtet sich seit 1978 an alle Kinder und Jugendliche arabischer Herkunft sowie an ihre Familien und engagiert sich mit Aktivitäten und Projekten in den Bereichen Jugendhilfe, Jugendsport und Bildung. Im Gespräch mit Projektleiter Gelaal Zaher und der pädagogischen Mitarbeiterin Stephanie Köhler wurden die vielseitigen Projekte des Vereins vorgestellt, die sich von Hausaufgabenbetreuung über Sportangebote und die Diskussion über Herkunft und Zugehörigkeiten erstrecken. Erklärte Ziele von Karame sind Gewaltprävention, die Förderung eines friedlichen Miteinanders und der Akzeptanz anderer Kulturen sowie Integration und Identitätsbildung bei Jugendlichen.

Am Nachmittag wurde dann die Ulme 35 besucht, der als Ort für Kunst, Kultur und Begegnung  für alte und neue Nachbarn dienen soll. Nachdem sich die Nachbarschaft in Berlin Charlottenburg durch die Einrichtung mehrerer Unterkünfte für Geflüchtete seit 2015 veränderte, wuchs das Bedürfnis, einen Ort der Begegnung und des gegenseitigen Kennenlernens zu schaffen. Die Interkulturanstalten bieten u.a. ein gemeinsam von Geflüchteten und Anwohner*innen betriebenes Café, eine mehrsprachige Bibliothek, Kreativwerkstätten, Ateliers und Beratungsstellen.

Amei von Hülsen-Poensgen stellt uns die Ulme 35 vor

Nachdem uns  Amei von Hülsen-Poensgen durch die verschiedenen Bereiche geführt hatten, hatten die Teilnehmer*innen die Gelegenheit, die syrische Youtuberin Rasha Al-Khadra kennenzulernen, die 2015 nach Deutschland geflohen ist und nun mit ihrem Kanal „Rasha and Life“ über Herausforderungen und Chancen des Lebens in Deutschland spricht und sich unter anderem mit Themen wir Alltagsrassismus auseinandersetzt.

Rasha Al-Khadra spricht über ihre Geschichte

Nach dem straffen Programm der letzten drei Tage ließen wir den Abend ausklingen und nahmen die Gelegenheit wahr, uns über da Erlebte und Gelernte auszutauschen. „Ich habe gelernt, wie die Politik läuft und wie die Politiker das Land regieren“, sagt der 22-jährige Issak über die Fahrt. „Außerdem habe in der Schule viel über die deutsche Geschichte und Berlin gelernt, aber ich hatte es vorher nur in einem Buch und nicht mit meinen eigenen Augen gesehen. Es war für mich sehr interessant und wichtig, Berlin zu besuchen.“

Mit vielen neuen Eindrücken und Ideen verabschiedeten sich die Teilnehmer*innen am Donnerstagmorgen von der Hauptstadt und stiegen in den Bus zurück in ihre neue Heimatstadt Bonn.

 

Die Fahrt wurde in Kooperation mit dem Haus der politischen Bildung Berlin durchgeführt und von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert.